Was haben Brad Pitt, Bruce Willis, Julia Roberts, Dustin Hoffman, Jackie Chan, Robert Redford, Tom Cruise, John Travolta, Marilyn Monroe, Clint Eastwood und Robert de Niro gemeinsam? Sie alle hatten ihren ersten Auftritt als Komparsen. Sozusagen die Hollywood-Version der Story „Vom Tellerwäscher zum Millionär“: vom Komparsen zum Star. Manche bleiben ihr Leben lang Komparse oder Statist. Kein Ruhm, kein roter Teppich, keine Millionen, immer im Hintergrund, im Schatten, am Existenzminimum. Der bekannteste, vielleicht sogar einzige bekannte Komparse überhaupt ist Jesse Heiman. Mit 30 Jahren hat er schon in über 100 Filmen mitgespielt. Aber wenn nicht ein Fan seine Hintergrundsauftritte zusammengeschnitten und auf Youtube gestellt hätte, wäre er weiter der unbekannte Niemand geblieben.
Von mir gibt es noch keinen Zusammenschnitt, es ist mein erster Auftritt. Aber jetzt steht tatsächlich mein kleiner Auftritt, meine persönliche Filmsternstunde, der sehr kleine, aber doch für mich große Moment bevor. Eine Sekunde Fame, vielleicht. Denn jetzt treten Tanz, Akrobatik und auch die Hauptdarsteller in den Hintergrund. Die Kameras haben uns im Visier. Was für eine paradoxe Situation: wir drehen hier im Jahr 1929 einen Film und werden dabei gefilmt, wie wir filmen. Film im Film. Und das in einem Studio, in dem im Ende 1929 Marlene Dietrich ihren ersten großen Erfolg feierte. Aber schön, dass jetzt auch die Filmcrew gewürdigt wird, mit ihren vielen Gehwerken, die das Wunderwerk Film überhaupt erst möglich machen. Ich bin mit meiner schönen, rollenden Tonangel natürlich im Vorteil. Das gibt einfach bessere Bilder als eine statische Filmkamera oder der Tonmann an seinem Mischpult.
Vor mir ein Podest, oben ein Kameramann. Jetzt kommt Tom Tykwer, spricht kurz mit dem Kameramann, dann kommt seine Anweisung an mich. Einfach meine Tonangel seitlich entlang der Linie schieben soll ich. Ganz einfach.
Und…Action. Aber mein Arbeitsgerät ist widerspenstig, stellt sich quer oder fährt Slalom. Ich schwitze. Alles ist, alles muss möglich sein beim Film. Aber das Gerät aus dem letzten Jahrtausend will einfach nicht wie ich. Der Regieassistent hat ein Einsehen. Das Gerät einfach nach vorne schieben und wieder zurück, das müsste doch besser funktionieren und sieht auch ganz ok aus. Ok, zweiter Versuch, nach vorne und wieder zurück. Und zwar immer wieder. Das geht etwas einfacher. Trotzdem ist mein konzentrierter und angestrengter Gesichtsausdruck nicht gespielt. Die Tonangel hoch schaue ich auf das oben hängende Mikrofon. Und bloß nicht über das Kabel fahren beim Rückwärtsgang. Aber da hilft mir das „Kerlchen“, so der Filmname für den „Best Boy“. Er darf das Kabel halten.
Nach dreimal vor und zurück fällt mein Blick dann doch kurz auf den Kameramann. Und ich muss an mich reißen, um schnell weiterzuschauen. Ein Blick in die Kamera ist natürlich eine besondere Komparsensünde. Aber zum einen überrascht mich das Outfit des Kameramanns: Knickerbocker, eine Weste wie ich, komplettes 20er-Jahre Outfit. Haben wir jetzt die Rollen vertauscht? Bin ich auf der falschen Seite? Aber dann sehe ich, wer in dem Kostüm steckt: Frank Griebe persönlich. Kein Kameramann ist wohl gefragter als er in Deutschland. Und kaum eine Person gehört so sehr zu der Tom-Tykwer-Familie. Die beiden lernen sich Ende der 80er Jahre als Filmvorführer in Berlin kennen und drehen ihren ersten Kurzfilm zusammen, 1990. Seitdem ist Griebe bei all seinen Filmen dabei. „Das Auge Tom Tykwers“ wird er auch genannt. Die dritte Staffel von Babylon Berlin ist das erste Mal, wo er aufgrund anderer Projekte nicht zusagen konnte. Bis auf den „Film im Film“ hier in Babelsberg. Und die Rolle nimmt er so ernst, dass er tatsächlich von der Kostüm-Abteilung das passende Outfit bekommen hat. Einer von uns.
Cut. Das war’s. Vielen Dank und Schweiß abwischen. Wird diese Aufnahme die Gnade der Cutter finden? In einem Jahr werde ich es wissen…Und schaue mir auf dem Weg nach Hause den Oscarprämierten Film „The Artist“ an. In dem fantastischen Film geht es nicht nur um den Übergang von Stummfilm zu Tonfilm und einen Star, der damit große Probleme hat. Sondern auch um jemanden, der durchs Bild stolpert und dann am Ende ein berühmter Filmstar wird.