Die Pausen. Immer wieder die Pausen. „Warten“ und „Wiederholen“, die beiden „W‘s“ bei Dreharbeiten. Aber richtig langweilig wird es für mich eigentlich nie. Die Magie des Ortes, die Faszination der Serie und dann unser Team: gute Voraussetzungen für einen abwechslungsreichen Dreh. Sieben Drehtage mit derselben Mannschaft ist richtig komfortabel und luxuriös. Auch, wenn viele die Pausen nutzen, um sich etwas abzuschotten, zu lesen oder einfach nur zu chillen, gibt es genug Gelegenheiten, die Kollegen kennen zu lernen.
Es sind einige richtig alte Komparsen-Hasen dabei, die seit vielen Jahren in dem Metier unterwegs sind und fast fünfzig Drehtage im Jahr haben. Aber für einige, wie mich, ist es eine Premiere. Babylon Berlin kennen die meisten. Bis auf das „Kerlchen“, mein Kollege an der Tonangel. Seine Freundin ist Fan der Serie, er hat sie eigentlich nur begleitet zum Casting. Aber dann sollte auf einmal er mitspielen. Und hat sogar einen denkwürdigen Auftritt als Hand-Double für einen erkrankten Ermittler. Extralohn! Meine Hände sind dafür leider zu groß. Das Kerlchen verspricht übrigens, die Serie gleich nach Ende der Dreharbeiten zu gucken – na also.
Aber es gibt auch die Experten. Sie haben alle Bücher von Volker Kutscher gelesen und sind dann auch von der Serie angetan. Schlechte Worte hört man hier nicht über Babylon. Naja, einem älteren Kollegen ist die Gewalt zu explizit, eine Frage der Sehgewohnheiten. Einige andere haben auch schon bei Szenen in den ersten Staffeln mitgewirkt, zum Beispiel bei den Demonstrationsszenen zum Blutmai. Das waren beeindruckende Massenszenen, samt blaue Flecken.
Wir Komparsen sind…Informatiker Psychologen, Grafiker, Studenten, Musiker, ehemalige Filialleiter eines Discounters mit Burnout, Arbeitsuchende….einmal quer durch die Berufsschichten. Und wir sind international: Litauer, Italiener, Georgier, Russen, Holländer, Franzosen, Belgier, Spanier…fällt manchmal auf, wenn jemand am Set aus der Reihe tanzt, weil er die Anweisungen nicht sofort verstanden hat. Die Meisten nehmen ihren Job recht ernst. Überlegen sich, wie sie ihre Tätigkeit füllen können oder legen sich sogar kleine Allüren zu wie Marek, der Mann mit dem Zahnstocher. Als Nichtraucher lutscht er permanent seine Zahnstocher durch. Auch, wenn man nachher nicht im Bild ist. Der Respekt vor dem Film und das Berufsethos nötigen uns das ab. Und manchmal gibt es dann auch besondere Glücksmomente wie für Michael, den Garderobier. Es ist Drehschluss, viele Komparsen sind schon weg – die Masken-Crew als erstes. Aber es wird dringend noch ein Komparse aus der Masken-Crew benötigt wurde. Also zieht sich Michael den weißen Kittel an und hat dann einfach einen anderen Job. Der Lohn (neben zwei zusätzlichen Stunden Honorar): Er kann wunderschöne, intime Szenen mit Meret Becker als Sängerin und einem weiteren Hauptdarsteller am Klavier genießen.
In den Pausen ist Fachsimpeln über die Zeit ist angesagt. Wir haben viele Experten für unterschiedliche Bereiche dabei. Ist nicht jeder ein kleiner Tom Tykwer? Frank ist auch in seinem eigentlichen Job Kameramann und darf die Seiten wechseln, weiß also, wie man die Kamera damals und heute gehalten hat. Max ist Musiker und findet bedauerlich, daß die Instrumente des kleinen Filmorchesters überwiegend neue Ware aus der Yamaha-Schmiede sind. Er hätte ein wirklich altes Saxophon aus dem Jahr 1924 beisteuern können, aber als Masken-Komparse machen die Musik nun mal die Anderen. Michael ist Experte für Waffen. Und er bemerkt, daß Gereons Waffe in der Serie eine Dreyse ist. Die taucht schon in alten Filmen der Weimarer Republik wie „Das Testament des Dr. Mabuse“ von Fritz Lang auf. Im Buch ist von einer Walther die Rede. Und in Staffel 3 kommt noch eine Steyr dazu…Waffenkunde am Set.
Ich selbst kenne mich ganz gut in der Literatur aus und bringe ein Buch von Kurt Siodmak aus dem Jahr 1930 mit, „Der Schuss im Tonfilmatelier“. Da geht es auch um einen Mord im Filmstudio. Später stellt sich raus, daß der Roman auch für Volker Kutschers Roman „Der stumme Tod“ Inspiration war. Mehr noch: den passenden Film dazu von 1932 hat sich auch die Crew von Babylon Berlin angeschaut. Viel von dem, was wir in der Marlene-Dietrich Halle sehen und machen, geht also darauf zurück. Wir beschließen, nach Ende der Dreharbeiten gemeinsam den Film anzuschauen.
Das würden wir auch gerne gleich machen, denn es ist mal wieder Warten angesagt. Und so langsam merken wir die kurzen Nächte doch. Müdigkeit ja, aber Lagerkoller? Keine Chance, denn jetzt kommt der Auftritt der Drei: die Swing-Gang. Die Tanzbären. Die Drei vom Tonkreuz. Max, Micha und Mirko. Tanzen und singen können sie, die Songs der Zeit kennen sie. „Das Fräulein Gerda“ ist gerade der Hit. Vor allem Max hat richtige Entertainer-Qualitäten, ist eine Stimmungskanone. Er war früher Führungskraft in einem größeren Unternehmen, hat viel gearbeitet und hatte irgendwann genug von der Mühle. Heute macht er das, was ihm Spaß macht. Musik, Theater, Film, Tanzen, Klinikclown. Er hat eine eigene Band www.fuchs-von-zimmer.de und ist bei Drehs gerne auch als Tänzer gefragt, durfte schon mit Caroline Herfurth und bei Max Raabe tanzen. Max schafft es sogar, mir einige Schritte bei zu bringen – das will einiges heißen. Sogar die professionellen Tänzer schauen interessiert und machen mit. Marek ist über die Rockabilly-Szene zum Swing gekommen, tobt sich zuhause gerne am Kontrabass aus und trägt auch privat Klamotten wie im Film. Die halten einfach besser. Und Micha ist der Gentleman unter den Dreien. Am Set ist er Regieassistent, also ganz dicht dran an Bellmann, dem Regisseur. Aber ich traue ihm jede Rolle zu: im Smoking bei einer Gala, als amerikanischer Pilot, als Kneipier…das perfekte Filmgesicht.
Auf jeden Fall: das Warten verbindet. Es sind großartige Menschen – und die Meisten betonen, dass die Atmosphäre hier wirklich besonders ist, anders als bei anderen Drehs. Eine verschworene Gemeinschaft. Wir werden uns wiedersehen, und zwar nicht am Set.
PS: und tatsächlich treffen sich einige zum Public Viewing Babylon Berlin