27. Januar 2020

Am Set von Babylon Berlin – Kapitel 1: Was ist eigentlich ein Boom Operator?

Es fühlt sich komisch an. Zum ersten Mal seit zwanzig Jahren habe ich mich nass rasiert. Mit tadellos glatter Haut sitze ich inmitten von mehreren tausend Kostümen. Wie in einem Kleiderlager der Firma Gerson am Hausvogteiplatz, Ende der 1920er Jahre: um mich herum hängen und liegen Anzüge, Abendkleider, Hemden, Hosen, Schuhe, Polizeiuniformen und Accessoires jeder Art. Aber wir sind im Jahr 2018 und ich befinde mich im Kostümfundus der Serie Babylon Berlin am Berliner Salzufer. Dort warte ich auf die Kostümprobe für meine Tätigkeit als Komparse bei der so erfolgreichen TV-Serie.

Nur ein kleiner Teil des großen Kostümfundus ©XFilme

Wie kommt ein Historiker zu diesem Job? Meine Agentur Zeitreisen ist Partner von Babylon Berlin und bietet Touren zu den Drehorten und zur Geschichte der Weimarer Republik an. In der Geschichte kennen wir uns aus. Aber unsere Gäste wollen ja auch Details von den Dreharbeiten. Daher frage ich bei der Produktionsfirma, ob ich mal einen Tag „schnuppern“, hautnah dabei sein kann. Dass es dann sieben Drehtage als Komparse werden sollten, habe ich mir nicht ausmalen können. Sogar eine kleine Sprechrolle stand im Raum. Aber dafür braucht es dann doch ein richtiges Casting im Babylon Berlin-Headquarter, dem ehemaligen Physikalischen Institut in der Dorotheenstraße. Vor mir ist ein 8jähriger Junge dran. Von Nervosität keine Spur. Ein alter Hase im Filmbusiness, ganz im Gegensatz zu mir. Bedauerlicherweise ist mein Auftritt beim Casting dann noch nicht Hollywood- bzw. Babylonreif. Stolpernd versemmel ich es. Vielleicht hätte ich doch meine Brille aufbehalten sollen, aber die passte ja nicht in die Zeit. Keine sprechende, aber hoffentlich eine tragende Rolle. Diesen Komparsenwitz werde ich noch häufiger hören die nächste Zeit.

Hallo, schöne Frau? Wirst Du die neue Kopfbedeckung von Charlotte? @X-Filme

Jetzt muss ich aber erst mal eingekleidet werden. „Fitting“ in der Filmsprache. „Ah, Du bist der Boom Operator!“, freut sich die Kostüm-Assistentin. Das ist also meine Profession: Boom Operator. Hört sich nach einem Job im Stunt- oder Effekte-Department an. Aber der Boom Operator ist der Ton-Assistent. Einen Job, den es erst seit 1928 gibt, mit der Erfindung des Tonfilms. Ich bin Teil einer Film-Crew, die einen Film im Jahr 1929 dreht. Denn soviel weiß ich schon: Vorlage der Staffel 3 ist „Der stumme Tod“, der zweite Band von Volker Kutschers Romanen, und da kommt es während der Dreharbeiten zu einem Mord. Aber wie kleidet sich ein Boom Operator? Die Kostüm-Assistentin nimmt meine Maße und verschwindet in dem riesigen Kleiderlager.

Während meines Fittings wird permanent weiter gearbeitet…©X-Filme

1.500qm groß ist der Fundus. Aus ganz Europa wurden Stoffe und Original-Kleidung aus den 20er-Jahren zusammengetragen. Wer während der Dreharbeiten ein zeitlich ähnlich gelagertes Filmprojekt plant, wird es nicht einfach haben, an Originale ranzukommen. Denn die gilt es, als erstes zu sichern. Aus den Originalen werden dann die anderen Kostüme abgeleitet, die von dem großen Team geschneidert werden. Passend für die Größe der Schauspieler, denn, so Kostümdesignerin Bettina Seifert: “Die Sachen waren alle kleiner geschnitten. Wenn jemand kommt, der 1,98 Meter groß ist, dann muss man etwas Neues anfertigen.” Und mit Sabin Tambrea und Ronald Zehrfeld kommen ja zwei Hauptdarsteller da schon nah dran! Nach dem Schneidern erfolgt dann noch ein weiterer, faszinierender Schritt: das „Aging“. Denn die Kleidung muss nicht nur gebraucht und getragen, sondern teilweise auch etwas schmutzig aussehen. Zum Zeitgeist der 20er Jahre gehört eben auch Dreck. Mit Sprühflaschen, Pulvern, Teesieben und Bürsten bekommen die Kostüme das richtige Zeitkolorit.

Das hätte mir auch gefallen! Für Recht und Ordnung sorgen. Erinnert ihr euch an die Szenen vom 1. Mai? Das ist viel Polizei im Einsatz ©X-Filme

Meine Kleidung ist gefunden. Bestehend aus Hemd, Hose, Hosenträger, Krawatte, Anzugsjacke, Mantel und Hut. Und Schuhen natürlich. Schon vom Angucken bekomme ich Blasen. Da muss er durch. Nun will mich die Maske noch mal sehen. Frisur passt, nachdem die Locken glatt gekämmt werden. Piercings und Tattoos kann ich nicht vorweisen, sehr gut.  Jetzt kommt das obligatorische Foto: Die Babylon-Berlin-Setcard, damit die Kostümabteilung bei den Dreharbeiten auch schnell abgleichen kann, ob alles stimmt. Ich bin Nummer 1674. Das ist noch Platz nach oben – für die erste Staffel wurden 5.000 Komparsen gesucht. Als ich später das Foto Freunden zeige, erkennt mich kaum jemand. Kein Bart, keine Brille, dazu das Kostüm: ich bin in dem Jahr 1929 angekommen. Jetzt heißt es, noch eine Woche Warten, dann geht es los, mein Abenteuer „Babylon Berlin“!

Meine Set-Card. Ordentlich rasiert, Scheitel sitzt, Krawatte auch. So erkennt mich keiner….

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